Wenn vier Personen jährlich 10.000 Kilometer mit dem PKW
zur Arbeit oder zur Berufsausbildung pendeln, verbrauchen sie in
25 Jahren 80.000 Liter Kraftstoff und belasten die Atmosphäre
mit 250.000 Kilogramm Kohlendioxid, errechnete Reinhard Malz. Die
Aussicht, in diesem Zeitraum jeweils über 6.000 Stunden beziehungsweise
260 Tage im Auto zu verbringen, ließ Familie Malz bewusst
ein Grundstück mit guter verkehrstechnischer Anbindung wählen.
Das Radfahren durch Felder, Wiesen und Parks zahlt sich gesundheitlich
aus. Auch die 20 Minuten mit der S-Bahn in die Landeshauptstadt
machen Sinn - im Gegensatz zum Auto hat man Kopf und Hände
frei, zum Beispiel für die Zeitung.
Wegen ihres konsequenten Energiekonzepts muss Familie Malz dennoch
nicht auf das Auto verzichten: Die großzügig ausgelegte
Solarstromanlage auf dem Dach versorgt nicht nur das Haus mit Energie,
sondern indirekt auch das Auto: Mit dem Überschuss der solaren
Stromerzeugung wird so viel Primärenergie in Form von Kohle,
Öl oder Gas eingespart, wie das Familienauto verbraucht. Damit
ist die CO2-Bilanz ausgeglichen. Wird der sparsame TDI-Motor mit
Pflanzenöl betrieben, fährt das Auto bereits CO2-neutral
und die Gesamtbilanz ist noch günstiger.
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Solares Bauen, Hand in Hand
Mit ihrem Plusenergiekonzept beweist Familie Malz, dass CO2-Emissionen
vermeidbar sind: lokal (Haus), global (im Kraftwerk) und im Verkehr
(Privat-PKW). Damit die Rechnung aufgeht, haben am Projekt Keplerstraße
7 Bauherr, Architekten, Planer und Stadtverwaltung zusammengearbeitet.
Die Stadt räumte überkommene Bauvorschriften aus dem Weg.
Die Werkgemeinschaft Guttenberger (Architekten), das Ingenieurbüro
Frank Müller (rationelle Energienutzung) und der Photovoltaik-Spezialist
Michael Tittmann realisierten gemeinsam ein harmonisches Gebäude
mit zeitlosen, klaren Formen, das deutlich über den Passivhausstandard
hinausgeht. Mit einem großen, nach Süden ausgerichteten
Photovoltaikdach, einer extrem gedämmten Wand ohne Fenster
und Türen im Norden, großzügigen Solarglasfenstern
im Süden und mit Energie sparender Haustechnik auf dem neuesten
Stand. Nach zwei Jahren intensiver Planung und 9 Monaten Bauzeit
wurde das Bauvorhaben Ende 2000 fertig gestellt.
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Keplerstraße 7, Westfassade,
Terrasse. Fotos: Reinhard Malz |
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Aktiv für das Klima: Vom Passiv- zum Plusenergiehaus
Ein Wohnhaus ohne Schornstein, ohne Öl- oder Gasheizung? Das
geht: Der minimale Wärmebedarf eines Passivhauses kann leicht
mit einer Wärmepumpe gedeckt werden, denn es benötigt nur
11 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche im Jahr. Das entspricht
nur 1,1 Litern Heizöl und ist etwa 25 Mal weniger als ein durchschnittliches
Wohngebäude verbraucht. Der Strom für die Wärmepumpe
kommt von der Solarstromanlage auf dem Dach - und nicht aus einem
Kraftwerk, in dem nur ein gutes Drittel der Primärenergie in
Elektrizität umgewandelt werden. Zusammen mit einer PV-Anlage
ist eine Wärmepumpenheizung mehr als nur "ökologisch
korrekt", denn mit einer Kilowattstunde Solarstrom fördert
eine moderne
Wärmepumpe mehr als 4 Kilowattstunden Wärme aus dem Erdreich.
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Sole-Wasser-Wärmepumpen nutzen im Winter die im Erdreich langfristig
gespeicherte Sonnenwärme(Grafik links). Durch die große
Speichermasse herrscht bereits in einigen Metern Tiefe das ganze
Jahr über eine fast konstante Temperatur von etwa +10°C.
Mit speziellen Erdsonden, die bis zu 100 m tief in die Erde reichen,
wird die Wärmepumpe an diesen unerschöpflichen "Wärmespeicher"angeschlossen".
Im Sommer wird die Wärmepumpe während der etwa einstündigen
Warmwasserbereitung zur Ladung des Kühlpuffers verwendet (Grafik
rechts) Grafiken: Reinhard Malz
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Der Strombedarf der kompletten Heizung (Wärmepumpe, Solepumpe
und Umwälzpumpe) liegt mit 1.497 Kilowattstunden pro Jahr weit
unter dem Ertrag der PV-Anlage (ca. 7.500 Kilowattstunden). Auf
das Konto der Warmwasserversorgung gehen 9 % des Solarstromertrags
(679 kWh). Die Lüftung verbraucht im Dauerbetrieb rund 600
Kilowattstunden bzw. 8% des auf dem Dach erzeugten Solarstroms.
Ihr Verbrauch kann durch Taktung sogar noch reduziert werden. Schon
ein Bruchteil des Solarstromertrages reicht aus, um genügend
Wärme aus der Erde auf das erforderliche Temperaturniveau von
35°C bis 45 °C zu pumpen. Als Energiespeicher dienen 2 Wassertanks
mit je 400 l.
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Solarstromgespeise Sole-Wärmepumpe
(Vitocal 300 BW) mit Heiz- und Kühlpufferspeicher |
Skizze des Lüftungssystems
mit Erdreichwärmetauscher und Wärmerückgewinnung. |
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Fotos und Grafik: Reinhard Malz. |
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Damit der Heizwärmebedarf in der Keplerstraße
7 so gering ausfällt, wurden alle baulichen und technischen
Möglichkeiten ausgereizt: Die kompakte, schnörkellose
Gebäudehülle ist mit zwei Schichten Zellulose von bis
zu 50 Zentimetern Stärke gedämmt. Der so genannte U-Wert
beträgt 0,1 W/m2 K (das ist die Wärmemenge, die durch
ein Bauteil verloren geht, in Watt je Quadratmeter und Kelvin).
Minimale Wärmebrücken, hohe Luftdichtigkeit und der Verzicht
auf Fenster und Türen in der Nordfassade sorgen dafür,
das so gut wie keine Wärme verloren geht. Die Drei-Scheiben-Solarverglasung
lässt wenig Wärme nach außen (U-Wert 0,7 W/m2 K),
aber viel Sonnenenergie nach innen (g-Werte über 50 %). Die
großen, nach Süden orientierten Glasflächen maximieren
die Solargewinne.
Heizung mit frischer Luft und Wärmestrahlen
Zusätzliche Energie gewinnt die Lüftungsanlage aus der
Abluft (Wärmerückgewinnung). Ein 30 Meter langer Erdreich-Wärmetauscher
wärmt die Luft im Winter kostenlos vor; im Sommer sorgt er
für die Kühlung und Entfeuchtung des Gebäudes. Während
die Bewohner eines Passivhauses mit Luftheizung bei abgeschalteter
mechanischer Lüftung keine Einflussmöglichkeiten mehr
haben, kann im Haus "Keplerstraße 7" die kostenlose
Kühlung eingeschaltet werden. Dazu muss lediglich das Wasser
in den Wand- und Deckenstrahlplatten mit Hilfe der Erdsonde auf
10°C - 15 °C abgekühlt werden. Die Wärmepumpe
wird dazu nicht benötigt. Zum Antrieb der Umwälzpumpe
genügt weniger als 1 % des Ertrags der Solarstromanlage.
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Solarstromertrag und Klimatechnikverbrauch
über zwei Betriebsjahre. Grafik: Reinhard Malz |
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Die kontrollierte Lüftung hält die Wärme im Haus.
Undichte Häuser mit Fensterlüftung sind dagegen wie offene
Thermoskannen, erklärt Reinhard Malz: da helfe die beste Wandisolierung
nichts. Beim Projekt Keplerstraße 7 sei aus diesem Grunde
größter Wert auf Luftdichtigkeit gelegt worden. Dank
sorgfältigster Verarbeitung übertreffe dieses Haus mit
seinen 0,4 Luftwechseln pro Stunde (bei einem Druckunterschied von
50 Pascal) deutlich die Passivhausempfehlung. Bei guter Dämmung
und Dichtigkeit ist eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung
von zentraler Bedeutung für das Innenklima und den Energiehaushalt.
Die hoch effiziente Wärmerückgewinnungsanlage entzieht
der Abluft im Winter die Wärmeenergie und überträgt
sie auf die kalte Zuluft. So kann auch über die verbrauchte
Luft kaum Wärme aus dem Haus entweichen.
Das in der Keplerstraße 7 umgesetzte Konzept von "Frischluft
und Wärmestrahlung" schafft nach Auskunft des Bauherren
ein ideales Raumklima und vermeidet konsequent die Nachteile der
typischen Passivhaus-Luftheizung. Die in die Schlaf- und Wohnräume
einströmende Luft wird nicht aufgeheizt. Die Bewohner empfinden
sie am angenehmsten, wenn ihre Temperatur geringfügig unter
der gewünschten Raumtemperatur liegt. Sämtliche Räume
werden individuell über wasserdurchflossene Wand- oder Deckenstrahlplatten
mit wohliger Wärmestrahlung versorgt. So können sie ganz
nach Wunsch temperiert werden, die Schlafräume zum Beispiel
etwas kühler, die Bäder etwas wärmer.
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Strom von der Sonne
Das Photovoltaik-Kraftwerk mit 25 ASE-Silizium-Modulen
(Leistung jeweils 315 W) nimmt die gesamte nach Süden ausgerichtete
Dachfläche ein. Der aufgeständerte, über 60 Quadratmeter
große PV-Generator hat eine Spitzenleistung von knapp 8 Kilowatt
und erzeugt jährlich mehr als 7.500 kWh Strom.
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Montage der 8 kWp-PV-Anlage; Foto. Reinhard Malz. |
4 Wechselrichter vom Typ "Sunny Boy 2000" wandeln
den Gleichstrom der Module in netzkompatiblen Wechselstrom um.Der
Ertrag der Solarstromanlage wird in das Netz der Stadtwerke
Fellbach eingespeist und nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG) 20 Jahre lang mit 50,62 Cent pro Kilowattstunde vergütet.
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Davon verbraucht die Haustechnik einschließlich Heizung, Lüftung,
Warmwasser-Bereitung, Beleuchtung, Automatisierung und Informationstechnik
nur einen Bruchteil. Der Überschuss wird in das öffentliche
Stromnetz eingespeist und sorgt so für weitere CO2-Einsparungen.
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Praktizierter Umweltschutz mit Vorbildcharakter
Auch im Detail haben Bauherren und Planer viel Wert auf Umweltverträglichkeit
gelegt: Eine Regenwasserspeicheranlage stellt das Brauchwasser für
die Toilettenspülung, Reinigungszwecke und die Gartenbewässerung
bereit. Über ein zusätzliches Warmwasserventil holt sich
die Waschmaschine im Erdreich solar erwärmtes Trinkwasser und
benötigt nur noch einen Bruchteil des Solarstroms. Und ein
an die Hauslüftungsanlage angeschlossener Wäschetrockenschrank
verbraucht im Vergleich zu einem elektrischen Wäschetrockner
praktisch keine Energie mehr.
Reinhard Malz und seine Familie bauten und leben nicht nach der
Devise "My Home is my Castle". Ihr Blick geht weit über
den Horizont der Eigenheim-Idylle hinaus: Das Fellbacher Solarhaus
sieht Malz als konkrete Korrektur einer verfehlten Energiewirtschaft,
die fossile Ressourcen in ungeheuerem Ausmaß vergeudet und
damit den Planeten aufheizt. Welche Bedrohung Krisen und Kriege
in den Erdölregionen darstellen, wird immer deutlicher. Der
Ersatz fossiler und atomarer Brennstoffe durch die Sonnenenergie
ist deshalb auch eine Chance zur Sicherung des Friedens.
Das Fellbacher Beispiel macht Schule, die guten Ideen breiten sich
aus: Im Rems-Murr-Kreis treten zunehmend Bürger für den
verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien und für Energiesparmaßnahmen
ein.
Material und Bilder: Prof. Dr.-Ing. Reinhard Malz: Redaktion Solarserver:
Rolf Hug
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